Die
Erinnerung ist das einzige Paradies aus dem wir nicht vertrieben
werden können.
26.
Dezember
Ich
weiß nicht, welcher berühmte Philosoph das gesagt hat. Ich weiß
nur, dass er Unrecht hat. Ich komme mir seltsam vor das zu sagen. Vor
allem, weil ich ein einfacher Mensch bin, der nichts in dieser
Richtung studiert hat. Aber ich bin mir so sicher.
Man
kann nämlich aus dem „Paradies“ vertrieben werden. Ein
ungünstiger Schlag auf den Kopf, ein Psychologe mit einem Pendel,
das vor den Augen von einer Seite auf die andere schwingt.
Erinnerungen könne gelöscht werden. Und wer bestimmt, dass die
Erinnerung ein Paradies ist? Ja natürlich ist es wissenschaftlich
erwiesen, dass man mit der Zeit die schlechten Dinge vergisst,
zumindest rücken sie in den Hintergrund. Aber wenn sie nicht gerade
gelöscht werden sind sie jeder Zeit abrufbar.
Ich
erinnere mich nicht an alles aus meiner Kindheit, aber ich erinnere
mich an Dinge, die ich eigentlich schon längst vergessen haben
sollte, weil ich zu klein war. Kleine Dinge, große Dinge, Dinge, die
niemand wahr haben will, wenn ich sie ausspreche. Deshalb tue ich es
nicht.
Es
sind schöne Dinge, unwichtige Dinge und Schreckliche, an die ich
mich erinnere. Ich kann nicht sagen, dass meine Kindheit schlecht
war. Sie war sehr schön, aber es gibt Momente, in denen man meinen
kann, dass sie es eben nicht war. Es sind nur Bilder, die manchmal
vor meinen Augen erscheinen, Bilder an die ich seit Jahren nicht mehr
gedacht habe.
Aber
egal, die Wissenschaft hat immer recht. Das was hauptsächlich bleibt
sind die schönen Erinnerungen. Deshalb schätzen wir auch das Heute
nicht. Früher war alles besser, heute ist alles scheiße. Das
lustige daran ist nur, dass wir das früher auch schon gedacht haben.
Und jetzt soll diese Zeit auf einmal gut sein?
Dabei
muss man nur mal die Augen aufmachen. Man soll die Zeit nutzen. Aber
was mache ich hier? Ich schreibe einen Text und höre mir Chillstep an. Es ist einfacher bei dieser Musik zu schreiben, als bei
der Musik, der ich sonst immer höre.
Ich
soll die Zeit nutzen, aber wie, wenn um mich herum Mauern aufgebaut
werden? Und wenn ich eine durchbreche und rennen kann, stoße ich
schon bald wieder auf eine. Was soll ich tun? Meine Zeit nutzen und
nicht damit beschäftigt sein, diese Mauern nieder zu brennen? Das
wäre die schlauste Möglichkeit, aber wo würde ich dann hin kommen?
Ich würde nie weiter kommen, nie meine Träume verwirklichen können,
nie ein Abenteuer erleben.
Eigentlich
geht es im Leben doch nur darum: Ein Abenteuer erleben. Der Mensch
sucht nach etwas Aufregendem, begibt sich in Gefahr. Wir versuchen
den Alltag mehr Action zu geben. Ich weiß noch, als ich auf dem
Dreimeterbrett stand und nach unten sah. Ich hatte so eine Angst,
dass mir etwas schlimmes passieren könne, aber ich war so glücklich
bei dem Gedanken nur einen Schritt zu machen und zu fallen, für
wenige Sekunden schwerelos zu sein. Der Mensch braucht das Adrenalin
um sich von dem grauen Alltag abzuheben. So, als ich zum ersten mal
auf einer Achterbahn, die zum Teil kopfüber ging und einen freien
Fall hatte. Das Adrenalin lässt die Angst vergessen, die
Glücksgefühle lassen die Vorsicht vergessen. Vielleicht sollte ich
öfters auf die Achterbahn gehen, vielleicht hätte ich dann weniger
Angst.
Andere
Menschen haben Angst um mich. Es gibt viel zu viele Menschen in
meinem Umfeld, die sich um mich sorgen. Sie sagen mir, was alles mit
mir passieren könnte. Sie machen mir Angst. Durch die Angst wurde
mir noch nie geschadet, noch nie von Leuten, die ich nicht kenne.
Durch die Angst habe ich so viel verpasst. Aber nicht nur durch die
Angst vergeude ich einen Teil meines Lebens.
Es
sind die Momente wie jetzt, in denen ich schreibe. Worte, die sowieso
nichts bringen, Worte, die vielleicht irgendwer mal zu lesen bekommt.
Vielleicht. Es sind meine Gedanken, die mich festhalten und Träume,
die ich erst zu ende träumen muss, bevor ich lebe. Im echten Leben.
Ich soll den Tag nutzen, aber für was? Alles ist mit Geld verbunden.
Sogar die Kunst, die Musik, die Fantasie ist irgendwie mit Geld
verbunden. Für alles muss man etwas kaufen, um es ausleben zu
dürfen. Es ist schrecklich, sonst könnte so viel erschaffen werden.
Und
dann sind da noch die ganzen kurzen Texte von mir, die ich irgendwie
hier rein bringen möchte, aber ich keinen Zusammenhang bei den
vorherigen Worten finde, sodass ich sie hier verwenden könnte.
Es ist
sinnlos und doch alles gleich. Schließlich sind die Sätze von mir
und ich alleine entscheide, wann es Zeit ist einen neuen Abschnitt
mit einem neuen Thema zu beginnen, egal ob es für andere passt oder
nicht. Ich wünschte, dass es im Leben auch so einfach wäre. Wenn
einem die Lust an etwas vergeht einfach etwas Neues anfangen. Es wäre
so viel einfacher. Wenn einem etwas schreckliches im Leben
widerfährt, einfach einen neuen Lebensabschnitt beginnen und den
Rest hinter sich lassen.
Solange
bis auch der Lebensfaden durchgeschnitten ist. Ich habe mich mal
gefragt, wann das bei mir sein wird. Hoffentlich noch bevor die Welt
untergeht. Aber es ist nicht wichtig, wann man stirbt oder wie. Es
ist wichtig, was man sieht, wenn man stirbt.
Ich
weiß nicht, was ich sehen will, wenn ich sterbe. Vielleicht das
Meer, mit riesigen Wellen, die sich überschlagen oder ein Dach aus
Blättern. Ich will ihr Rascheln hören, wenn der Wind sich sacht
über das Land legt, ich will in hohen weichen Gras liegen. Die Sonne
soll scheinen und die Vögel sollen zwitschern. Das sind die letzten
Dinge, die ich sehen, hören, spüren möchte.